Bau-Auslese Manuel Pestalozzi - Texte und Artikel über Architektur und das Bauwesen
Körper am Fluss
Nevers, Burgund, Frankreich
Worum es in diesem Film geht? Das ist gar nicht einfach zu sagen, denn
Hiroshima mon amour ist eine Art auf Zelluloid geprägtes Gedicht. Nur soviel steht fest: Es geht um Städte, und es geht um Körper. Und auch darum, mit der menschengemachten Katastrophe des Atombomben-Abwurfs fertig zu werden. Zuerst wird Hiroshima präsentiert, eine von Wasserläufen durchzogene Ansammlung ephemerer, nach der Explosion errichteter Bauten – häufig eher Buden. Beim einstigen Epizentrum befindet sich die Gedenkanlagemit locker verstreuten, den Idealen der Klassischen Moderne entsprechenden Solitären. Harter Beton brut und beklemmende Leerflächen herrschen vor.
In Hiroshima findet sich ein Liebespaar, das sich fremd ist, deren Körper sich aber vor den Eindrücken der Katastrophe unwiderstehlich anziehen. Die Frau ist aus Frankreich, genauer aus Nevers. Die von ihr ungeliebte Kleinstadt an der Loire, welche sie mit traumatischen Erinnerungen verbindet, wird zwischen den Partnern beinahe zur Obsession. Die enge, steinerne, alte und ziemlich verstaubte Stadt erscheint in den trüben Kamerafahrten wie ein Kontrast zu Hiroshimas Verlorenheit. Der Frau wird durch die Fragen ihres Geliebten, der Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit klar, dass Nevers sie «gemacht» hat, dass sie diesem Körper am Fluss gleichsam wie einem Mutterleib entsprungen ist. Soll man den Film als eine Anklage gegen die Zerstörung bestehender Stadtstrukturen oder als ein Plädoyer für den Erhalt von historischen Ensembles auffassen? Kaum. Das hastig Errichtete und das für die Ewigkeit Gebaute werden nicht gegeneinander ausgespielt, und gerade das Medium Film hat die Fähigkeit, deutlich zu machen, dass eigentlich immer am Fluss gebaut wird. Am Fluss der Zeit.
Hiroshima mon amour (1959)
Regie: Alain Resnais, Drehbuch: Marguerite Duras
Darsteller: Emmanuelle Riva, Eiji Okada, Stella Dassas, Bernard Fresson u. a.
Das Copyright dieses Films liegt bei Nouveaux Pictures, Argos Films
Erschien in Architektur & Technik 8-07.