Bau-Auslese Manuel Pestalozzi - Texte und Artikel über Architektur und das Bauwesen
Ewiger Frühling
Medellín, Antiochia, Kolumbien
Im Spielfilm sind Städte meistens nicht viel mehr als Kulisse, sie üben auf die Handlung einen schwer zu fassenden aber doch spürbaren Einfluss aus – diese «aktive Passivität» ist ja gerade das Faszinierende an Architektur und Städtebau.
Im Film La Virgen de los Sicarios (die Jungfrau der gedungenen Mörder) ist die Stadt vorerst eine Kondition. Wenn wir von Medellín hören, denken wir an Drogenkartelle, Gesetzlosigkeit, Kriminalität und Gewalt. Und rohe Gewalt ist der Hintergrund des Films: Ein desillusionierter Intellektueller mittleren Alters kehrt zurück, um ein Erbe anzutreten und, wie er sagt, um zu sterben. Aus der Beziehung zu einem Strichjungen aus den Slums wird eine Freundschaft; die beiden Müssiggänger flanieren durch die Stadt und lernen voneinander. Der Ältere kennt und kommentiert die historische Bedeutung von Monumenten. Er weiss von einer Zeit zu erzählen, als man im Zentrum noch das Muhen der Kühe auf den Hügeln hörte. Der Jüngere trägt eine Waffe. Er weiss, dass man in Deckung geht, wenn man ein Motorrad hört und jagt gelegentlich einem Mitmenschen eine Kugel ins Hirn – mit grösster Selbstverständlichkeit und ohne moralische Bedenken. Es ist absehbar, dass diese Geschichte tragisch endet.
Doch dann ist da die Stadt, das wahre Medellín. Es ist – wenn man sie nicht gerade mit Leichen pflastert – eine schöne, saubere Stadt, mit lauschigen Quartieren, Fussgängerzonen, schön restaurierten historischen Bauten, einer ultramodernen Metro – und alles ist in üppigstes Grün gebettet. In Medellín herrscht ewiger Frühling, der Film zeigt dies mit einer angesichts seiner Handlung fast unbarmherziger Klarheit. Und man muss sich die Frage stellen, ob man die Gemütslage und den zwischenmenschlichen Umgang in einem Ort wirklich immer mit dessen Architektur erklären kann.
La virgen de los sicarios (2000)
Regie: Barbet Schroeder, Drehbuch: Fernando Vallejo
Darsteller: Germán Jaramillo, Anderson Ballesteros, Juan David Restrepo u. a.
Das Copyright dieses Films liegt bei Canal+
Erschien in Architektur & Technik 11-08.