Bau-Auslese Manuel Pestalozzi - Texte und Artikel über Architektur und das Bauwesen
Gnomenstadt
Zürich, Schweiz
Jede Stadt ist ein Objekt der individuellen Wahrnehmung. Das Allgemeingültige wird von persönlichen, intimen Empfindungen meistens überflügelt. Dass Architektur und Städtebau dennoch akzeptierte Werte darstellen können, ist im Lichte dieser Erkenntnis erstaunlich. Allerdings sind sie niemals der einzige Faktor, wenn es um die Reputation geht. Wenige Städte zeigen das so deutlich wie Zürich. Die geringe Grösse, der bescheidene Massstab und die Übersichtlichkeit sind ein Meisterstück des Understatements. Hinter der Fassade der Biederkeit lassen sich ungestört Entscheide fällen, die von weltweiter Tragweite sind. Ob die "Stadt der Gnome" ihren Ruf verdient, kann ein bescheidener Fachzeitschriften-Redaktor natürlich nicht beurteilen. Es besteht aber kein Zweifel, dass die oft negativ gedeutete Diskretion eine lange Tradition besitzt und sich unter den Einheimischen wenig an ihr stören.
Dieser Krimi hat einen Kurzausflug in die Limmatstadt zum Thema. Es geht um verwechselte Pässe, konspirative Rendez-vous und düstere Machenschaften. Die Bäume sind nackt, das Wetter ist regnerisch, die Nacht, in der sich die Handlung abspielt, unendlich lang. Zürich wirkt distanziert und sehr kühl. Einheimische kommen in diesem Film keine vor, die Stadt ist eine veritable Bühne, die von angereisten Protagonisten bespielt wird. Als Ortsansässiger erkennt man die Drehorte, und man wird sich bewusst, wie unterschiedlich man gewisse Stellen im urbanen Gefüge wahrnehmen kann.
Besondere Aufmerksamkeit erregt die Weihnachtsbeleuchtung an der Bahnhofstrasse, die im untersten Screenshot zu sehen ist. Es ist der dreidimensionale Himmel aus Lichtpunkten, wie man ihn jetzt, nach dem Durchfallen des zweidimensionalen "Gartenhags" in der Publikumsgunst, zu rekreieren wünscht. Er wirkt in diesem Film nicht wärmend.
L'ordre et la sécurité du monde (1978)
Regie: Claude d’Anna, Drehbuch: Marie-Françoise Bonin
Darsteller: Bruno Cremer, Donald Pleasence, Laure Dechasnel u. a.
Das Copyright dieses Films liegt bei Dedalus Films, Seuil Audiovisuel
Erschien in Architektur & Technik 12-08.